Kursrallye an den Börsen - letzte Ausfahrt vor der Grenze


Ein Gefühl wie im Herbst 2000 geht um an der Börse: Nach jahrelanger Kursrally geraten die Börsen-Überflieger ins Rutschen. Nach der US-Wahl in fünf Wochen droht zudem eine Hängepartie.

Letzte Ausfahrt vor der Grenze: Wer dieses Schild an der Autobahn sieht, weiß, dass er sich jetzt entscheiden muss: Wer auf das Bewährte vertraut, wird hier ausfahren und sich an den Schönheiten der Heimat freuen. Wer geradeaus weiter fährt, sieht sich vielleicht Unvorhersehbarem und Unerwartetem gegenüber.

Dies Schild war auch jetzt vor ziemlich genau 20 Jahren im Herbst des Jahres 2000 an den Aktienmärkten aufgestellt. Nach einem starken Anstieg über 18 Jahre, nur kurz unterbrochen durch die Kursrückgänge im Herbst 1987 und im 2. Halbjahr 1990, waren die Aktienmärkte stark angestiegen. Zusätzlich waren in den 2 Jahren vorher viele weitgehend substanzlose Internetwerte an die Börse gekommen und hatten dort die Fantasie der Anleger entfacht mit der Folge stratosphärischer Bewertungen für gar nicht oder nur ansatzweise existierende Geschäftsmodelle. Auch die führenden und längst etablierten Technologieunternehmen der damaligen Zeit wie Intel, Cisco Systems und Microsoft waren sehr hoch bewertet.

Das klingt alles ziemlich vertraut. Die Aktienmärkte insgesamt haben seit dem Tief im Jahr 2009, vor allem in USA, kräftig zugelegt. Schon in den letzten Jahren, aber auch zusätzlich befördert durch Verhaltensänderungen aufgrund Corona, haben sich die großen Technologiewerte, hier u.a. Amazon, Apple, Facebook und einige andere, von der allgemeinen Börsenentwicklung weit abgekoppelt und sind sehr viel stärker als der Gesamtmarkt gestiegen.

Im Herbst 2000 fingen die Notierungen schon kräftig an zu bröckeln. Dies war die letzte Ausfahrt vor der Grenze, die letzte Gelegenheit zum Ausstieg mit moderaten Verlusten, bevor die Aktienmärkte ziemlich genau 2 Jahre lang bis zum Tiefpunkt im Oktober 2002 gefallen sind. Also jetzt alle Technologie- und Kommunikationswerte, die in den letzten Jahren so stark gestiegen sind, schnellstmöglich verkaufen, um nicht wieder wie um diese Zeit vor 20 Jahren in einen Abwärtsstrudel gerissen zu werden?

Einiges spricht dafür - schließlich haben auch in diesem Jahr die Kurse der großen amerikanischen Technologieunternehmen seit Anfang September abzubröckeln begonnen. Und der bevorstehende Monat Oktober ist nicht erst seit 1987 gefürchtet. Denn Anfang November steht die Präsidentenwahl in Amerika ins Haus. Viele befürchten ein unklares Wahlergebnis und eine womöglich wochenlange Hängepartie - in diesem Fall könnte es an der Börse ziemlich turbulent zugehen.

Zeit zum Ausstieg für kurzfristigen Investor - aber nicht für Anleger mit langem Atem

Der kurzfristige Investor, der auf vielleicht 6 Monate plant, kann durchaus einen vorübergehenden Ausstieg in Betracht ziehen. Für den langfristigen Anleger lautet die Empfehlung an dieser Stelle ein klares Nein. Im Jahr 2000 hatte sich ein ziemlicher Sturm zusammengebraut: Der Ölpreis hatte sich verdoppelt, während er jetzt ziemlich stabil bei ungefähr 40 Dollar liegt, die US-Notenbank Fed hatte die kurzfristigen Zinsen um 1,75 Prozent erhöht. Dadurch wurde die Renditekurve invers, was ein klassisches Zeichen einer bevorstehenden Rezession durch steigende kurzfristige Zinsen ist.

Heute gibt es keine Inflation und sowohl die kurzfristigen als auch die langfristigen Zinsen sind historisch auf niedrigstem Niveau. Und dürften es auch noch ziemlich lange bleiben.

Im Jahr 2000 war die Wirtschaft nach dem langen Aufschwung am Überhitzen. Heute bemühen sich Regierungen und Zentralbanken in allen Ländern, die Wirtschaft anzuschieben und einen neuen Aufschwung nach Überwindung der Coronakrise hinzubekommen.

Big Tech ist hoch bewertet - zeigt aber auch hohes Gewinnwachstum

Der Aufschwung des Jahres 2000 war von vielen substanz- und auf lange Jahre ertragsschwachen Unternehmen getragen. Diese waren viel zahlreicher und in der Marktkapitalisierung höher als die etablierten Technologienamen wie Intel, Cisco und Microsoft. Heute haben die großen Technologieunternehmen Amazon, Apple, Facebook, Google, Microsoft und Netflix ein durchschnittliches Gewinnwachstum in den letzten 5 Jahren von 44 Prozent pro Jahr erzielt. Die durchschnittliche Erwartung für den durchschnittlichen Gewinn pro Aktie in den kommenden 5 Jahren liegt bei 20 Prozent.

Die Bewertungen liegen mit Ausnahme von Amazon und Netflix durchaus, gemessen am Wachstum der Gewinne pro Aktie, nicht im übertriebenen Bereich. Aber auch langfristige Anleger in diesen Werten müssen damit rechnen, dass sich die Korrektur des Monats September vielleicht sogar bis nach der amerikanischen Wahl die ganzen Monate Oktober und November durchzieht.

Dafür spricht auch die historische Erfahrung vieler Wahljahre mit knappem Wahlausgang. Sobald das Wahlergebnis dann aber zweifelsfrei feststeht, ist zum Jahresende hin eine Erholung zu erwarten. Langfristige Anleger sind deshalb nach unserer Meinung gut beraten, die Engagements in diesem Werten aufrecht zu erhalten.

 

© manager magazin 2020

 



 

 

 


powered by webEdition CMS