Nachkommen vor weiteren Schulden schützen - Was die neue EZB-Chefin Lagarde anpacken muss


"Nuova Gestione" - ein Schild mit dieser Aufschrift hängt zu Werbezwecken regelmäßig an den besseren Italienischen Restaurants, wenn ein neuer Koch seinen Dienst antritt. Dies geschieht demnächst bei der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. Dort hat der langjährige "Chefkoch" Mario Draghi das Ende seiner Dienstzeit erreicht und wird jetzt in den Ruhestand wechseln.

Die neue "Chefköchin", Christine Lagarde, wird sich erst mal mit den Gegebenheiten des Ortes und ihren neuen Kollegen vertraut machen. Die Speisekarte muss hier und da überarbeitet werden und besonders wichtig ist baldmöglichst ein Gang in den Keller, um nach den Beständen zu sehen. Denn dort lagern 2,1 Billionen Euro Staatsanleihen der verschiedenen Euroländer aus dem umstrittenen Staatsanleihenkaufprogramm, aufgelegt zur Stützung des Euro und zur Abwendung einer damals vielleicht zu erwartenden schädlichen Deflation. Demnächst kommen jeden Monat noch 20 Milliarden Euro aus neuen Käufen dazu. Denn hier besteht Handlungsbedarf.

In der Klimadebatte sind sich heute alle Industrieländer einig, dass man jahrzehntelang über seine Verhältnisse gelebt hat und ein Rückgang der Kohlenstoffemissionen zur Abwendung weiterer Erderwärmung erforderlich ist. Hier werden eine Vielzahl von Maßnahmen in Angriff genommen wie Umstellung der Energieversorgung weitestmöglich auf Regenerative Energien, Elektrifizierung des Stadtverkehrs, Emissionsreduzierung des sonstigen Straßenverkehrs durch neue Dieseltechnologie von Bosch und vieles andere. Einig sind sich hier alle, künftige Generationen nicht die Sünden der jetzigen Generation bezahlen zu lassen.

Dasselbe muss auch für Staatsschulden gelten. Hier werden heute meistens konsumptive Ausgaben getätigt: Zum Beispiel die Rente mit 63 in Deutschland, Pensionszahlungen von mehr als 3000 Euro monatlich bei den Mitarbeitern der Pariser Metro ab Lebensalter 57 und die Anschaffung von 80.000 Dienstwagen mit Privatnutzung für italienische Beamte.

All dies natürlich auf Pump und zu bezahlen von künftigen Generationen, die von den Wohltaten nichts haben und sich nicht wehren können. Denn die durch Zinsen und Rückzahlung Geschädigten, die später überhöhte Steuern zur Bedienung der Schulden zahlen müssen, sind häufig noch gar nicht geboren oder dürfen noch nicht wählen. Da ist das Verschieben von heutigen Konsumwünschen auf Wehrlose ein bequemer aber ethisch ebenso angreifbarer Ausweg wie die Übernuztung der Ressourcen, der zur Erderwärmung führt.

Wir müssen die Nachkommen schützen und dürfen sie nicht weiter belasten

Schädliche Schuldenverlagerung auf künftige Generationen ist nichts anderes als schädliche Übernutzung von Ressourcen zu Lasten künftiger Generationen, die dann den Klimawandel bewältigen sollen. In beiden Fällen ist es geboten, die Nachkommen zu schützen und sie nicht noch stärker zu belasten.

Die Jahre seit Beginn des EZB-Anleihkaufprogramms haben gezeigt, dass man auch mit Erhöhung der Staatsschulden kein Wachstum kaufen kann. Aus gutem Grund wurde die D-Mark in der Nachkriegszeit weitgehend ohne Staatsschulden zur zweitstärksten Währung der Welt.

Ein Drittel der Staatsschulden der Euro-Zone ist jetzt in Händen der EZB. Sie hat es wesentlich in der Hand, die Mitgliedsländer der Währungsunion zum Abbau ihrer Staatsschulden anzuhalten:

Die erste Möglichkeit ist, das neue Kaufprogramm bald wieder auslaufen zu lassen und die fällig werdenden Staatsanleihen in den Beständen der EZB nicht wieder durch Nachkauf zu ersetzen, wie es zur Zeit geschieht; pro Jahr werden ungefähr 300 Milliarden Euro fällig. Damit werden an jedem Arbeitstag des Jahres durchschnittlich über 1 Milliarde Euro Staatsanleihen neu nachgekauft.

Erst wenn das aufhört, werden die Länder ernsthaft mit dem Sparen anfangen. Dadurch reduzieren sich im Laufe der Zeit die Bestände in den Händen der EZB. Auf diese Weise würden dann auch die Länder mit exzessiver Staatverschuldung in Europa dazu angehalten, die Verschuldung abzubauen. Denn nur wer sieht, dass er sich nicht darauf verlassen kann, dass ein Dritter zuverlässig seine Schulden kauft, wird seine Ausgaben reduzieren.

Das Statut der EZB sagt deshalb ganz klar, dass die EZB keine monetäre Staatsfinanzierung betreiben darf. Die EZB ist nach intensiven, jahrzehntelangen Debatten nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank von allen Staaten der Währungsunion geschaffen worden. Wichtigstes Charakteristikum der Bundesbank war, dass sie keine Staatsfinanzierung betreiben durfte, also keine Staatsanleihen kaufen.

Genau dieser Punkt war allen Gründungsmitgliedern der EZB wichtig, nachdem die Währungsentwicklung der Nachkriegszeit die Überlegenheit des Systems Bundesbank über alle anderen Systeme, die den Ankauf von Staatsschulden durch die Notenbanken beinhaltet hatten, nachdrücklich unter Beweis gestellt hatte.

Hier wird Christine Lagarde ziemlich bald aufräumen müssen, um die Glaubwürdigkeit der EZB wieder herzustellen. Denn für die Staatsschulden muss dasselbe wie für den Klimaschutz gelten. Deshalb ist ein Umdenken in diesen Fragen und die Neuorientierung der Fiskalpolitik der Euro-Länder dringend erforderlich.

Anleger sind nach unserer Meinung gut beraten, genau hinzusehen: Falls Lagarde den Abbau der Staatsschulden angeht, dürfte die Euro- Zone wegen gestiegener wirtschaftlicher Seriosität Kapital anziehen und den Euro damit aufwerten. Dies sehen wir im Schweizer Franken, der als Folge der rückläufigen Staatsverschuldung seit etwa 10 Jahren steigt.

Kapitalzuflüsse und Kursgewinne bei Aktien werden die Folge sein. Die Erfolgsgeschichte der D-Mark als Hartwährung von 1948 bis 2000 kann sich wiederholen, wenn die neue EZB-Chefin jetzt "Nuova Gestione" betreibt und die Weichen richtig stellt.

© manager magazin 2019

 



 

 

 


powered by webEdition CMS